Wasserstoff-Pipeline „H2Med": Chancen für die Prozesstechnik

Für viele Prozesse der Metallurgie-, Wärmetechnik und Gussbranche gilt Wasserstoff als attraktive Alternative zu Erdgas. Allerdings werden gewaltige Mengen benötigt. Um die Nachfrage zu decken, ist Deutschland auf Importe angewiesen. Eine Ankündigung vom Wochenende klingt vielversprechend: die Wasserstoff-Pipeline „H2Med" zwischen Barcelona und Marseille soll nach Deutschland verlängert werden. Worauf darf die Industrie jetzt hoffen? Details und Hintergründe.

Am Sonntag, den 22. Januar, feierten der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und eine deutsche Delegation um Bundeskanzler Olaf Scholz in Paris den 60. Jahrestag des Élysée Vertrags von 1963. Im Rahmen der Feierlichkeiten wurden auch Gespräche zur Zukunft der Energieversorgung in Europa geführt.

Zwei Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr

In einer offiziellen Presseerklärung des Élysée-Palastes bestätigt Macron unter anderem, dass die im Dezember 2022 zwischen Spanien und Frankreich beschlossene Pipeline „H2Med" auch Deutschland mit grünem Wasserstoff von der iberischen Halbinsel versorgen soll.

Im Wortlaut heißt es, man wolle „die notwendigen Schritte für ein europäisches Rückgrat für den Wasserstofftransport in ganz Europa unternehmen". Dazu gehörten die „erforderlichen nationalen und transnationalen Wasserstoffinfrastrukturen [...] [und] der Ausbau der H2Med-Pipeline nach Deutschland." Zudem wolle man eine gemeinsame „Arbeitsgruppe Wasserstoff" gründen, die bis Ende April weitere Empfehlungen ausarbeiten soll. Ziel ist eine europäische Wasserstoffproduktion im industriellen Maßstab.

Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten für den Bau der Pipeline auf 2,5 Milliarden €. Sie soll ab 2030 bis zu zwei Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr transportieren können. Das wären rund zehn Prozent des geschätzten europäischen Gesamtbedarfs, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember auf 20 Millionen Tonnen im Jahr 2030 beziffert hat. Davon soll die Hälfte in der Europäischen Union produziert werden, während der Rest aus dem außereuropäischen Ausland importiert wird.

Wasserstoff-Importe für die deutsche Industrie

In der deutschen Energiepolitik ist das Gas spätestens seit Veröffentlichung der Nationalen Wasserstoffstrategie 2020 ein Thema.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass der nationale Wasserstoffbedarf im Jahr 2030 bei bis zu 110 TWh liegen wird. Einen Teil sollen Elektrolyseuranlagen inländisch produzieren, Experten verorten das Potenzial bei rund 14 TWh. Mindestens 80 % des Wasserstoffbedarfs müssen also importiert werden. Erschwert wird die Beschaffung durch den in Deutschland vorherrschenden Wunsch, primär CO₂-neutral produzierten, "grünen" Wasserstoff zu nutzen.

Der BDI schreibt in einem Dossier zum Thema, dass Deutschland neben dem Ausbau der heimischen Elektrolysekapazitäten ein Transportnetz für Wasserstoff schaffen und internationale Energiepartnerschaften eingehen solle. Insofern steht die Bekanntmachung aus Paris durchaus im Einklang mit den Forderungen der Industrie.

Spanische Wasserstoffpläne

Weltweit planen Staaten die Errichtung großer Kapazitäten zur Produktion von grünem Wasserstoff. Besonders geeignet sind windreiche Regionen wie Schottland und Skandinavien oder sonnenreiche Gebiete, wie es sie in Australien, Afrika oder Südeuropa gibt.

Insbesondere Spanien macht seit geraumer Zeit als künftiger Wasserstoff-Großexporteur von sich reden. Ende letzten Jahres verkündete das Unternehmen Cepsa, zwei neue Wasserstoffanlagen mit einer Gesamtkapazität von 2 GW in Betrieb nehmen zu wollen. Sie sind Teil des "Green Hydrogen Valley" in Andalusien, das bis 2026 als größter Produktionsstandort für grünen Wasserstoff Europas entstehen soll.

Anlässlich der Bekanntmachung hatte Ministerpräsident Pedro Sánchez gesagt, dass Spanien mit Wasserstoff „ein Energieexportland" werden könne. Schätzungen der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) zufolge wird grüner Wasserstoff in Spanien ab 2026 billiger sein als konventionell hergestellter "grauer". Der Grund sind die niedrigen Kosten für erneuerbar produzierten Strom. Diese liegen bei rund einem Cent pro kWh.

Die Wasserstoff-Roadmap erhält von der spanischen Regierung daher großzügige Investitionen von bis zu 8,9 Mrd. €. 2030 soll die Elektrolysekapazität 4 GW betragen.

Geschichte eines Pipeline-Projekts

Die H2Med-Pipeline ist Ausdruck des französischen Bestrebens, an den in Spanien produzierten Mengen grünen Wasserstoffs zu partizipieren. Dabei sollten die Energielieferungen zwischen den Staaten bis vor kurzem eher verringert werden.

2019 hatte die franzöische Regierung bekanntgegeben, den Bau der 190 km langen Erdgas-Pipeline "MidCat" (Midi Catalogne) zwischen Barcelona und Carcassonne abbrechen zu wollen. Zu teuer, zu unzeitgemäß sei das bereits 2013 begonnene Projekt.

Mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs und den ausbleibenden Erdgaslieferungen aus Russland wurde die Idee einer spanischen-französischen Pipeline wieder interessant. Im Oktober 2022 verkündeten Paris und Madrid, das Vorhaben unter dem Namen "BarMar" fortzusetzen. Die neue Pipeline würde allerdings nicht wie ursprünglich geplant die Pyrenäen passieren, sondern als Untersee-Pipeline durchs Mittelmeer Barcelona mit Marseille verbinden.

Im Dezember gaben der spanische Präsident Sánchez und Macron bekannt, dass "BarMar" in „H2Med" umbenannt wird. Der neue Name soll den Fokus darauf lenken, dass hauptsächlich Wasserstoff durch die bis zu 476 km lange Pipeline fließen soll. Dem französischen Industriemagazin L'usine nouvelle zufolge werden die Bauarbeiten 2026 beginnen.

Ab 2030 könnte dann grüner Wasserstoff aus den sonnenreichen Regionen Südspaniens über Frankreich in die energiehungrigen Industriezentren Deutschlands fließen.

Neue Absatzchancen für die Prozesstechnik

Der VDMA weist darauf hin, dass die neue Wasserstoffpipeline nicht nur eine Rohstoffquelle, sondern auch neue Absatzchancen für die Prozesstechnik eröffnet.

Im September hat der Verband eine Studie zur Evaluation der Wasserstoffwirtschaft aus Sicht der Anlagenbauer in Auftrag gegeben. Fazit: der Markt für Wasserstoff-Technologien bietet "erhebliches Geschäftspotenzial", ganze Lieferketten seien im Entstehen begriffen.

Die Investitionen in wasserstofftaugliche Anlagen und Komponenten könnten erheblich zunehmen. Absatzfelder entstehen dabei durch den möglichen Verkauf von Ausrüstung entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette: Produktion, Transport, Speicherung, Vertrieb und Anwendungen, u.a. im Mobilitäts- und Energiesektor. Allein der europäische Markt für Elektrolyseur-Ausrüstung soll 2030 einen Umfang von 6 bis 10 Mrd. € umfassen. Das tatsächliche Volumen hängt davon ab, wie sich die Kosten entwickeln und wie viele Projekte umgesetzt werden. Die Studie ist online kostenlos abrufbar.

Vor diesem Hintergrund ist es ein gutes Signal für die Prozesstechnik, wenn Kapazitäten für den Wasserstoffimport nach Deutschland entstehen. Je mehr Wasserstoff verfügbar ist, desto größer ist das Absatzpotenzial für geeignete Ausrüstung.

Als der Élysée-Vertrag in den von Kohle und Erdöl geprägten sechziger Jahren unterzeichnet wurde, hätte wohl niemand gedacht, dass die europäische Industrie ein halbes Jahrhundert später auf den Energieträger Wasserstoff setzen würde. Doch Vorsicht: Noch ist kein einziger Kubikmeter in Deutschland angekommen.

Autor: Magnus Schwarz, Vulkan-Verlag GmbH