Im Stahl- und Metallhandel neigt sich die Ära von Fax und Telefon dem Ende zu. Gewinnen werden diejenigen Händler, die ihre Prozesse frühzeitig und entschlossen digitalisiert haben. Am Ende der Entwicklung steht der vollautomatisierte Stahlnachschub über das Internet der Dinge - mit oder ohne Stahlhändler.
In der Welt des Stahls hat sich manch überholte Gewohnheit erhalten. Das Faxgerät gehört dazu. Mag das Smartphone in jeder Tasche stecken und Social Media die Mitte der Gesellschaft längst erreicht haben – beim Handel mit Stahl gelten der Griff zum Telefonhörer und die Fernkopie als Kommunikation auf der Höhe der Zeit.
Doch die Zeiten ändern sich. „Die Digitalisierung des Stahlhandels steht erst am Beginn einer dynamischen Entwicklung“, sagt Dr. Heinz-Jürgen Büchner. Die treibende Kraft sieht der Managing Director der IKB Deutsche Industriebank in Frankfurt im Kunden. „Wie auch in anderen Handelssegmenten, dürften auch hier letztendlich die Kunden diejenigen sein, die den Trend zur Digitalisierung vorantreiben.“
Die Stahlkocher selbst sind da vielfach weiter. Angebote des digitalen Austauschs mit den Stahlherstellern werden von vielen Stahlabnehmern bereits genutzt, wie der Branchenexperte auf einer Veranstaltung des Stahlhandelsverbands BDS deutlich machte. „Für den Stahlhandel wird es daher über kurz oder lang notwendig, hier entsprechend nachzuziehen“, folgert Büchner.
Europaweit erfolgt mehr als ein Drittel des Stahlabsatzes über den Direktvertrieb vom Stahlwerk zum Kunden. Vor allem Großabnehmer der Autoindustrie beziehen Stahl über länger laufende Kontrakte direkt ab Werk. Weitere 37 % werden über Stahl-Service-Center vertrieben. Diese auf Dienstleistungen und Anarbeitung spezialisierten Betriebe stehen zwischen dem klassischen Werkstoffhandel und dem produzierenden Gewerbe - häufig als Dienstleistungssparte von Stahlhändlern, die durch Anarbeitung, also mit Walzen, Sägen, Bohren, Schweißen, Gewinde schneiden, Biegen oder Veredeln von Stahl und Aluminium ihre Wertschöpfungskette verlängern. Was bescheiden „Anarbeiten“ genannt wird, reicht bis hin zur Fertigung komplexer Bauteile für Autoindustrie, Bau und Maschinenbau.
„Auffällig ist, dass bei höherwertigen Stahlgüten der Anteil der Direktbelieferung durch die Stahlkocher deutlich ansteigt“, sagt Büchner. So werden etwa über die Hälfte der beschichteten Flachstahlprodukte direkt von den Stahlherstellern an die Endkunden geliefert. Die Ursache dafür sei häufig die kundenspezifische Lösung und der höhere Erklärungsbedarf im Vertrieb. Hier liege das Risiko, aber auch die Chance für den Stahlhandel, folgert der Analyst: „Wenn es gelingt, durch intelligente digitale Vertriebswege zu den Stahlherstellern aufzuschließen, könnte der Marktanteilsverlust an diese gestoppt werden.“ Für den Stahlhandel ist das eine Herausforderung, wie Büchner betont: „Stellt man sich aber nicht dieser Herausforderung, so bestraft das Leben“.
Gisbert Rühl möchte sich dieser Strafe gern entziehen. Beeindruckt vom Erfolg des Online-Marktplatzes Amazon und auf der Suche nach neuen Geschäftsideen zog der CEO des Duisburger Stahlhändlers Klöckner & Co. zuerst durch die Ideenwelten des Silicon Valley und dann durch die Berliner Start-up-Szene. Klöckner, ein Unternehmen mit mehr als hundertjähriger Tradition (gegr. 1906) wandelte sich unter Rühl zum Vorreiter der Digitalisierung. Fernab vom Stahlgeruch des Ruhrgebiets gründete Rühl 2014 in Berlin das Kreativlabor kloeckner.I, das seitdem aus der hippen Hauptstadt frische Ideen in die Duisburger Konzernzentrale spült. So ging der Stahlhändler 2016 mit einem neuen Webshop online, einer Stahlhandelsplattform, die Daten von Lieferanten und Kunden enthält. Gleichzeitig wurde das Aluminiumgeschäft ausgebaut.
Mit der Digitalisierung der Stahl- und Metalldistribution will Klöckner das Ende der in der Branche typischen linearen Liefer- und Leistungsketten einleiten. Zukünftig werde der Handel mit Stahl- und Metallprodukten in zunehmendem Maße über drei digitale Kanäle stattfinden: über proprietäre Onlineshops einzelner Händler, über industriespezifische, vertikale Plattformen und über branchenübergreifende, horizontale Plattformen.
Was Amazon für Klöckner-CEO Gisbert Rühl, ist der Online-Automarktplatz Mobile.de für Ralf Niemeier. Der geschäftsführende Gesellschafter der Montanstahl GmbH will mit seiner 2015 gegründeten offenen Handelsplattform steel.online Stahlhändler und Kunden neutral vernetzen. So können Stahlverwender auf dem Portal Preisanfragen zu praktisch allen Arten von Stahlprodukten platzieren und registrierte Händler bundesweit mit ihren Angeboten darauf antworten. Voreingestellte Produktkategorien, Geometrien und Abmessungen erleichtern die Eingabe und das Suchen von Online-Angeboten. In Zukunft soll die Kalkulation vollautomatisch und in Echtzeit erfolgen. Ein Konstrukteur könnte dann seine komplette Stückliste auf die Plattform hochladen, mit voreingestellten Längen, Zuschnitten und sonstigen Rahmenbedingungen und eine bundesweite Anfrage stellen. Unabhängig vom Anfragevolumen und der Komplexität soll er dann über dynamische Autokalkulationsmodule innerhalb von Sekunden seine Preise erhalten und mit einem Klick eine Bestellung auslösen können.
Umsturz der alten Geschäftsmodelle
Für den traditionsbehafteten Stahlhandel ist die Digitalisierung nicht nur ein kultureller Umbruch - sie ist ein Umsturz der bisherigen Geschäftsmodelle. Über Jahrzehnte wurde Stahl möglichst preisgünstig in großen Mengen eingekauft und eingelagert. Zogen die Preise an, verkauften die Händler mit hohen Margen. Doch Stahl billig einzukaufen und irgendwann teuer zu verkaufen funktioniert nicht mehr, seit weltweit strukturell Überkapazitäten vor allem aus China den Markt überschwemmen und die Preise drücken. Da nutzt es lang- und mittelfristig auch nichts, dass die Stahlpreise vorübergehend mal wieder anziehen.
Stahlhändler Klöckner bedient seine rund 130.000 Kunden in zwölf Ländern zunehmend digital, wie Christian Prokopp, Geschäftsführer der kloeckner.i GmbH bescheinigt. „Wir haben den Digitalumsatzanteil sukzessive auf zuletzt 16 % im dritten Quartal 2017 gesteigert. Dies entspricht einem jährlichen Volumen von rund einer Milliarde Euro“, betont der Digitalexperte. Klöckner beobachtet einen branchenübergreifenden Trend zur Onlinebestellung. Unterschiede beim Bestellverhalten gebe es aber in Abhängigkeit von der Größe des Kunden. „Größere Unternehmen aus dem Bereich Automotive oder Maschinenbau bestellen gerne über EDI-Verbindungen bzw. über entsprechende Schnittstellen aus ihren Warenwirtschaftssystemen direkt bei uns. Kleinere Bauunternehmen oder Handwerksbetriebe bevorzugen hingegen unsere Onlineshops“, wie Prokopp ausführt. Interessant sei vor allem, dass nicht nur Bestandskunden zunehmend online bestellten. „Wir haben durch unsere digitalen Vertriebskanäle in einem hart umkämpften Markt bereits eine erhebliche Zahl an Neukunden gewonnen“, betont Prokopp.
Die nächsten Schritte im Online-Geschäft stehen an. „Nachdem wir bereits sehr gute Erfolge bei der Digitalisierung unserer Vertriebskanäle sowie der internen Prozesse erzielt haben, steht 2018 ganz im Zeichen der Erweiterung unseres online verfügbaren Produktangebotes. Dafür bauen wir unsere Onlineshops zu Marktplätzen aus, indem wir diese für komplementäre Produkte von Drittanbietern öffnen“, sagt Prokopp. Gleichzeitig baue Klöckner mit XOM eine vollkommen offene und von Klöckner unabhängige Industrieplattform unter Einbeziehung direkter Wettbewerber auf.
Fachkenntnisse bei Werkstoffen gefragt
Auch die Stahlhersteller selbst, Unternehmen wie ArcelorMittal, thyssenkrupp und Salzgitter haben die Chancen des direkten Online-Handels erkannt und betreiben eigene Web-Shops. Potentielle Kunden sind etwa die rund 36.500 kleinen und mittlere Unternehmen des Metallhandwerks mit ihren 465.000 Mitarbeitern. Der typische Stahlbauer muss sich um den nächsten Auftrag bemühen, kaum dass er von der Baustelle zurück ist. Wird etwa eine Lagerhalle oder ein Treppenhaus ausgeschrieben, sollte er die Materialkosten genau kennen. Traditionell fragt der Stahlbauer beim Händler per Fax oder Telefon an – nicht selten mit der Bitte um Rückruf und der sich daran anschließenden Wartezeit. Eine Antwort erhält er ohnehin nur während der Öffnungszeiten. So können Tage verstreichen, bis ein Stahlbauer ein verbindliches Angebot abgeben kann. In einem E-Shop wie dem von Salzgitter lassen sich Produkte am Bildschirm konstruktionsgerecht zusammenstellen, Preise sofort einholen und Angebote kalkulieren.
Das Amazon-Prinzip, bequem am Bildschirm einzukaufen wann und wo immer der Kunde es wünscht, ob morgens um halb drei zuhause oder Sonntagvormittag im Skiurlaub, ist Vorbild auch im B2B-Geschäft. Doch nicht alle Online-Werkstoffhändler gehen dabei so weit wie thyssenkrupp. Dessen neuer E-Shop materials4me hat neben dem Profi auch den ambitionierten Heimwerker im Fokus. Damit scheut Deutschlands größter Stahlhersteller nicht den Wettbewerb mit branchenübergreifenden Plattformen wie Amazon, Alibaba und Ebay, die allesamt Werkstoff wie Stahl und Aluminium anbieten, wenngleich nur Standardprodukte in stark beschränkter Auswahl und ohne größeren Service.
Doch Stahl ist kein einheitliches Material, sondern ein vielfältig verwendbarer Konstruktionswerkstoff als Flachstahl oder Langprodukt mit in Deutschland etwa 2.000 angebotenen Sorten. Das Produkt Stahl wird entsprechend den Bedürfnissen der Kunden legiert, gewalzt und umgeformt. Von den Stahlwerken fordern die Anwender immer wieder neue Problemlösungen, und die Stahlerzeuger erschließen ihren Kunden durch innovative Produkte neue Märkte. Entsprechend beratungsintensiv ist das Geschäft und dementsprechend breit gefächert sind Stahlhandel und -Service.
Chancen für Newcomer im Online-Handel
Während große Stahlhändler wie Klöckner oder Stahlerzeuger wie thyssenkrupp eigene Online-Shops betreiben, ist für kleinere Händler ein eigener Shop oftmals zu aufwendig und zu teuer. Für Kunden ist es zudem zu zeitraubend, unterschiedliche Shops durchstöbern zu müssen, um Angebote zu vergleichen. Newcomer im Online-Handel bringen möglichst viele und auch kleinere Händler mit Kunden zusammen.
„Grundsätzlich gibt es im Stahlhandel erstaunlich viele erfolgreiche Unternehmer, welche offen für Veränderungen sind und als Vorreiter nach neuen Chancen suche“, sagt Stefan Grethe. Bevor der Jungunternehmer 2014 mit dem Düsseldorfer Start-up Mapudo einen Online-Marktplatz für Stahl gründete, war er für thyssenkrupp im Stahlhandel tätig. „Als Projektleiter habe ich die Kunden- und Auftragsportfolios von neun Vertriebsgesellschaften in Europa, den USA und in Asien analysiert und dabei festgestellt: Die Situation ist weltweit überall gleich und es besteht ein erhebliches Digitalisierungspotenzial im lagerhaltenden Stahlhandel.“
Die Stahlbranche reagierte auf Grethes Antwort unterschiedlich. „Viele fanden den Ansatz sehr gut, andere glaubten, hierfür sei es zu früh und wiederum andere lehnten das Konzept kategorisch ab.“ Heute gehören selbst Marktgrößen wie der weltweite Stahlröhrenhersteller Vallourec zu den Partnern des Online-Marktplatzes für Werkstoffe. „Auf der Anbieterseite ist deutlich erkennbar, dass Stahl- und NE-Metallhändler dem Thema Verkauf über Online-Marktplätze viel aufgeschlossener geworden sind“, freut sich Grethe. Die Kunden kommen aus den unterschiedlichsten Branchen, vom Schlosser über Stahl- und Metallbauer und mittelständische Industrieunternehmen bis zum Großkonzern aus der industriellen Instandhaltung. „Sie alle haben gemeinsam, dass sie Werkstoffe zügig und unkompliziert beschaffen müssen, um mehr Zeit für mehrwertschaffende Tätigkeiten zu haben“, sagt der Mapudo-Gründer. Insbesondere die zweite Hälfte von 2017 habe sich sehr erfreulich entwickelt, insgesamt liege das Transaktionsvolumen über den Erwartungen. Künftig hinzukommen sollen weitere Dienstleistungen, z.B. Anarbeitung. „Die ersten Schritte in diese Richtung sind mit Gehrungsschnitten und Maßblechen getan, aber es gibt noch viel zu tun“, weiß Grethe. Grundsätzlich gelte: „Wo wir einen Mehrwert schaffen können, werden wir zusammen mit Anbietern und Käufern neue Funktionen entwickeln.“
Jürgen Wixler, Geschäftsführer der Münchner alloys2b GmbH, hat sich die Funktionsweise sozialer Medien zum Vorbild genommen. Alloys2b hat sich auf Stahlwerke und Gießereien fokussiert, die einen Bedarf an Vorlegierungen, Legierungen und unlegiertem Material haben.
„Gestartet sind wir mit einem Marktplatz und haben uns dann sehr schnell zur einer Software-as-a-Service (SaaS) Lösung entwickelt“, erläutert Wixler. Alloys2b funktioniert nach Prinzipien einer privaten Ausschreibungsplattform: Einkäufer erstellen ihren eigenen Lieferantenpool mit dem sie handeln und auch nur an diese gehen die Ausschreibungen. Vergleichbar einer Freundschaftsanfrage bei Facebook können Kunden neuen Lieferanten per E-Mail einladen und so den ersten Schritt der zukünftigen Zusammenarbeit testen, bevor teure Backgroundchecks gemacht werden. Dabei agiert das System als schneller digitaler Kommunikationskanal zwischen den Beteiligten. „Die Besonderheit an alloys2b ist die einfache Bedienung und die eigens entwickelte Produkterstellung“, verspricht Wixler. „So lassen sich Standardprodukte finden und falls notwendig an den eigenen Bedarf anpassen oder komplexe Produkte anlegen und das Ganze ohne Einarbeitung oder vorheriger Workshops.“
Wixler hat das System weiterentwickelt zu einer Art Socialmedia Plattform für Geschäftskunden. Als Handelssystem für den landwirtschaftlichen Ein- und Verkauf ist die erweiterte Plattform bereits online. „Im Moment sind wir auf der Suche nach Partnern, um das neuen Handelssystem in die Metallindustrie zu bringen.“ Wixler ist überzeugt: „Wir glauben, dass die Zukunft des Metallhandels in einer offenen Plattform liegt und nicht in Insellösungen.“
Die Maschine bestellt Stahl
Wie sieht die Zukunft des Stahlhandels aus? „Die Zukunft des Stahlhandels ist digital“, darin sind sich alle einig. Gewinnen werden diejenigen Händler, die ihre Prozesse frühzeitig und entschlossen digitalisiert haben – auch darin besteht Einigkeit. Möglich aber auch, dass viele Stahlhändler in Zukunft gar nicht mehr gebraucht werden.
Im Zeichen von Industrie 4.0 steht am Ende der Entwicklung die Digitalisierung der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette. In der intelligenten Fabrik sind Lagerbestände und Maschinen über das Internet der Dinge (Internet-of-Things, IoT) direkt miteinander verbunden. Erkennt das System, dass an der produzierenden Maschine der Stahlvorrat zu Ende geht, wird eine Nachbestellung ausgelöst – beim Stahlhändler oder gleich im Stahlwerk. Was futuristisch klingt, könnte bald Wirklichkeit werden. So sieht es jedenfalls das Start-Up Axoom, dass ein komplexes Industrie-4.0-Ökosystem geschaffen hat. Das Karlsruher Unternehmen ist eine Gründung des Werkzeugmaschinenherstellers Trumpf. Als Partner mit an Bord: Der Stahlhändler Klöckner.
(Autor: Gerd Krause, Mediakonzept, Düsseldorf)
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