Das CO2-neutrale Stahlwerk
Stehen erneuerbare Energie und grüner Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen in ausreichender Menge zur Verfügung, ist die Kombination von Direktreduktion und Elektrostahlerzeugung die Ideallösung, heißt es beim führenden metallurgischen Anlagenbauer SMS group. Dann kommt auch der Bau eines neuen Stahlwerks in Frage, wie das Greenfield Projekt von H2GreenSteel im nordschwedischen Boden beweist. Dort errichtet der Anlagenbauer im Auftrag einer Investorengruppe das weltweit erste CO2-neutrale Stahlwerk. Die Direktreduktion im Midrex-Verfahren soll ausschließlich mit grünem Wasserstoff erfolgen, die Stahlerzeugung in einem mit Grünstrom betriebenen Elektrolichtbogenofen. Auch alle nachgelagerten Prozesse sind grünstrombasiert. So wird die Wärmebehandlung des Stahls nicht wie bislang üblich im gasgefeuerten Ofen erfolgen, sondern induktiv mit Grünstrom. Ein Leuchtturmprojekt der europäischen Stahlindustrie in Richtung Klimaneutralität.
METEC zeigt neueste Dekarbonisierungslösungen
Von den Idealbedingungen, wie sie im hohen Norden Schwedens herrschen, sind die meisten Stahlstandorte weit entfernt. Doch auch für die Bestandsanlagen in aller Welt stehen Technologien zur Dekarbonisierung bis hin zu einer klimaneutralen Stahlerzeugung bereit. SMS verspricht, als einziger Anbieter für wirklich alle Szenarien Dekarbonisierungslösungen anbieten zu können, ein Themenschwerpunkt der METEC.
Die Stahlerzeuger schlagen unterschiedliche Pfade ein. Die deutsche Salzgitter AG beispielsweise ersetzt schrittweise Hochofen und Sauerstoffblasstahlkonverter durch Direktreduktion (mit Energiron) und Elektrolichtbogenofen, einschließlich eigener Windstrom- und grüner Wasserstoffproduktion.
Wettbewerber Thyssenkrupp wählt einen anderen Weg. An Europas größtem Stahlstandort Duisburg ist das Ziel ebenfalls die klimaneutrale Stahlerzeugung und auch hier wird die Roheisenerzeugung mit dem Hochofen durch Direktreduktion abgelöst. Die Verfahrensroute zur Stahlerzeugung über den Sauerstoff-Blasstahlkonverter und alle anschließenden Prozesse bleiben aber unverändert.
Die SMS group ersetzt die bestehende Infrastruktur des Hochofens durch einen Midrex-Schachtofen zur Direktreduktion, kombiniert mit einer innovativen Schmelztechnologie. Das noch heiße direktreduzierte Eisen (DRI) wird in einem sogenannten Einschmelzer (OBF, Open Bath Furnace) energieeffizient aufgeschmolzen. Wie flüssiges Roheisen aus dem Hochofen wird das aufgeschmolzene DRI dem Sauerstoff-Blasstahlkonverter zugeführt und zu Stahl verarbeitet.
Mit der wasserstoffbetriebenen Direktreduktion will Thyssenkrupp künftig mehr als 3,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Damit ist die Kombination aus wasserstoffbetriebener Direktreduktionsanlage, Einschmelzer und Sauerstoffblaskonverter am Standort Duisburg eines der weltweit größten Dekarbonisierungsprojekte. Für die SMS group ist der Auftrag mit einem Volumen von mehr als 1,8 Milliarden Euro der größte Einzelauftrag in der Unternehmensgeschichte. Die Inbetriebnahme ist für 2026 geplant.
Für alt und neu: Klimaneutral mit Direktreduktion und Einschmelzer
Die Konfiguration aus Direktreduktionsanlage und Einschmelzer (vergleichbar einem konventionellen Reduktionsofen, Submerged Arc Furnace, SAF), bewirbt Anlagenbauer SMS sowohl für Bestandsanlagen als auch für neue Stahlwerke. In bestehenden Stahlwerken ersetzt diese Anlagenkombination den Hochofen sowie die damit verbundenen Sinter-, Winderhitzer- und Kokereianlagen.
Zunächst kann die Direktreduktionsanlage wie bei Thyssenkrupp auf Erdgasbasis betrieben werden, wobei das Erdgas nach und nach durch immer größere Anteile Wasserstoff ersetzt wird. Bereits die Kombination einer Direktreduktionsanlage auf Erdgasbasis mit einem Einschmelzer reduziere die CO2-Emissionen im Vergleich zur konventionellen Hochofenroute um ca. 50 Prozent. Erreicht wird dies durch den höheren Wasserstoffgehalt im Erdgas. In einer zweiten Stufe lässt sich das Erdgas allmählich durch Wasserstoff als Reduktionsgas ersetzen, was eine weitere CO2-Reduktion bis etwa 65 Prozent ermöglicht.
Dank des eingesetzten Reduktionsverfahrens ist der Einschmelzer unempfindlich gegenüber minderwertiger Erzqualität, verspricht SMS. Zusätzlich zum heißen Eisenschwamm kann das Einsatzmaterial für den Einschmelzer bis zu 10 Prozent zusammengeballte Abfälle oder losen Schrott enthalten. Der OBF kann zusätzlich auch Schlacke erzeugen. Ähnlich der Hochofen-Schlacke lässt sich diese granulieren und in der Zementindustrie verwerten.
Viele Wege - ein Ziel
Aufgrund der langen Investitionszyklen metallurgischer Anlagen muss ein großer Teil der künftigen CO2-Einsparungen aus der Umrüstung bestehender Hüttenwerke stammen und das selbst an Standorten, wo weder Wasserstoff noch ausreichend Erdgas zur Verfügung stehen. „Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit müssen Hand in Hand gehen, damit wir reale langfristige Effekte und Erfolge sehen“, sagt Burkhard Dahmen, CEO der SMS group. Auf anderen Märkten und in anderen Regionen, zum Beispiel in Indien und China, bräuchte man Alternativen zur direkten Reduktion.
Eine Dekarbonisierung der Stahlerzeugung lässt sich durch Einführung innovativer integrierter Prozesslösungen sowohl in neuen Anlagen als auch in vorhandenen erreichen. Ein wichtiger Schritt Richtung Klimaneutralität ist dabei die Schaffung zusätzlicher Infrastruktur für den Einsatz nachhaltiger und erneuerbarer Energieträger wie Wasserstoff, Biomasse oder grünem Strom. Die letzte Meile auf dem Weg zur Klimaneutralität können CCS-Technologien zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid überbrücken.
Brückentechnologie (1): Blauer Hochofen
Mit der Umrüstung eines konventionellen Hochofens auf die sogenannte Blue Blast Furnace-Technologie verspricht Anlagenbauer SMS eine Reduzierung der CO2-Emissionen von bis zu 28 Prozent. Das besondere Merkmal des „blauen“ Hochofens ist die Erzeugung von Synthesegas aus den Prozessgasen von Hochofen und Kokerei und dessen Einleitung über eine neuartige Heißwindringleitung in den unteren Teil des Hochofens. Das Synthesegas besteht hauptsächlich aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff und ersetzt-Koks als Reduktionsmittel zur Reduktion des Eisenmöllers im Schacht.
Die Erzeugung von Synthesegas kann mit einer Vielzahl von Technologien erfolgen. Als besonders effizient gilt ein neuartiger Reformierungsprozess des SMS-Tochterunternehmens Paul Wurth. Bei der sogenannten Trockenreformierung von Koksofengas wird das Gichtgas aus dem Hochofen und das Koksofengas bei hohen Temperaturen reformiert. Da das Verfahren ausschließlich Abgase aus dem Hüttenwerk verwendet und kein Einsatz von Kohle mehr erforderlich ist, bietet es großes Potenzial für die Reduzierung von CO2.Daneben existieren weitere Technologien zur Herstellung von Synthesegas, z. B. die Reformierung von Erdgas oder Koksofengas und Teer.
Brückentechnologie (2): Hochofen-Upgrade mit EasyMelt auf der METEC
Basierend auf dem blauen Hochofen, aber über dessen Emissionsminderungspotenzial hinausgehend, stellt SMS auf der METEC das so genannte EasyMelt-Verfahren (Electric Assisted Syngas Smelter) vor, einen elektrisch unterstützten und mit Synthesegas betriebenen Schmelzofen. Bei der Technologie handelt es sich um ein elektrifiziertes Direktreduktions- und Schmelzverfahren, bei dem der Heißwind aus dem konventionellen Hochofenverfahren mithilfe einer geringen Menge an Koks vollständig durch Gase wie Koksofengas, Erdgas, Wasserstoff und Ammoniak ersetzt wird. Je nach Energieeintrag kann diese Technologie im Vergleich zur herkömmlichen Route bestehend aus Hochofen und Sauerstoffblaskonverter laut SMS Emissionseinsparungen von über 60 Prozent erzielen. Die verbleibenden direkten Emissionen lassen sich durch Einsatz von CCS-Technologien oder durch Nutzung von Biomasse oder Biogas als Ausgangsstoff weiter reduzieren. Bei der Nachrüstung bestehender Anlagen ist EasyMelt gegenüber allen anderen Technologien zur CO2-armen Eisenerzeugung weniger kapitalintensiv. Anders als eine reine Direktreduktionsanlage kann das Verfahren auch herkömmliches Eisenerz verarbeiten und nicht nur die knappen und teureren Eisenerz-Pellets oder Stückerze mit hohem Eisengehalt, was eine wirtschaftlichen Anlagenbetrieb verspricht. Die Technologie stellt laut Unternehmen eine wirtschaftliche Alternative zur Direktreduktionsroute dar. Ähnlich wie bei der Blue Blast Furnace-Technologie kann die Einführung des EasyMelt Verfahren schrittweise erfolgen.
Gießereien
Auch die vielen kleinen und mittelständischen Betriebe der Gießereibranche sind zu heterogen, als dass eine Strategie nach dem Motto „one size fits all“ greifen könnte. Eine Sorge haben die Unternehmen dennoch gemeinsam: Energie. „Der wesentlichste Transformationspfad ist, wie zukünftig der hohe Energiebedarf für Gießereien klimaneutral realisiert werden kann“, sagt Prof. Dr.-Ing. A. Bührig-Polaczek, Leiter Gießerei-Institut am der RWTH Aachen University. Dies beziehe sich zum einen auf die energieintensive Schmelztechnik, zum anderen auf den gesamten Gießprozess incl. Zulieferer und Kunden. „Die Technologien selbst sind weitgehend vorhanden, wie der Gießereiexperte weiß.
„Für das Schmelzen und Warmhalten bieten sich z.B. etablierte elektrisch betriebene Öfen an“, sagt Polaczek. „Aber auch Wasserstoff als neuer Energieträger kann technisch für das Schmelzen und Warmhalten eingesetzt werden. Auch wenn die Technik für Wasserstoff grundsätzlich steht, sind hierfür noch etwas an Entwicklungsarbeiten und Optimierungen notwendig.“
GIFA und THERMPROCESS: Ein Feuerwerk an technologischen Innovationen
Neue Brennertechnologien für (vorerst) Erdgas, aber schon „Wasserstoff-ready“ bilden einen der Schwerpunkte auf den Fachmessen GIFA und THERMPROCESS. Was hier möglich ist demonstriert u.a. Küppers Solutions mit dem innovativen Dual-Fuel-Rekuperatorbrenner iRecu. Die Entwicklung verspricht effiziente Wärmerückgewinnung, maximale Brennstoffflexibilität und CO2-neutrale Produktion. Ausgezeichnet wurde die Erfindung mit dem Innovationspreis für Klima und Umwelt 2022 und zuvor mit dem Effizienzpreis NRW 2019. Ein gutes Beispiel auch für die Stärken neuer Fertigungstechnologien. Der Rekuperationsbrenner ist der weltweit erste im 3D-Druck hergestellte Serienbrenner – und nur additiv konnte er gefertigt werden.
Weitere Schwerpunkte auf den Weltleitmessen GIFA und THERMPROCESS sind Innovationen bei Induktionsschmelzanlagen und Thermoprozesstechnologien, wie sie die großen Industrieofenbauer ABP Induction und Otto Junker vorstellen werden. Auch hier liegt ein Fokus auf Energieeffizienz und -einsparung. Besondere Bedeutung kommt der Induktionstechnik im Hinblick auf CO2-frei produzierende induktive Schmelzanlagen als Ersatz für Kupolöfen und gasbeheizte Öfen zu. Technologien und Konzepte zur Wärmerückgewinnung und Verwendung von erneuerbarem Strom beispielsweise aus zusätzlichen Photovoltaikanlagen sind ebenfalls wichtige Entwicklungen auf dem Weg Richtung Klimaneutralität. Induktionsöfen gewinnen zudem im Hinblick auf das Metallrecycling an Bedeutung. Ein Ziel ist, organisch kontaminierte Aluminiumschrotte in Gießereien so weit wie möglich verwerten zu können.
Die Gießereien machen von den Innovationen der Anlagenbauer durchaus Gebrauch. Insgesamt kann Gießereiexperte Bühring-Polaczek der Branche ein gutes Zeugnis ausstellen: „In der Optimierung und Transformation mit Blick auf die gesamte Gießprozesskette sind die meisten Unternehmen bereits aktiv unterwegs und können erste Erfolge vorweisen.“ Ein wichtiger Weg in die Zukunft sei hier insbesondere auch die durchgehende Digitalisierung der Prozesse im Sinne von Industrie 4.0. „Dies ermöglicht eine neue faktenbasierte Transparenz auch komplexer Prozesse und damit deutliche Effizienzsteigerungen“, wie der Professor festhält.
Der Appell von Gießerei-Experte Bührig-Polaczek geht daher an die Politik: „Während die Unternehmen und Gießereien bereits zügig vorangehen, bleibt die zuverlässige Bereitstellung klimaneutraler Energie eine weiterhin offene Frage, die politisch zu lösen ist. Damit werden viele notwendige Innovationen und Investitionen verzögert oder unterbunden.“
(Fachautor: Gerd Krause, Mediakonzept, Düsseldorf)
Breakthrough-Technologien auf der GIFA, METEC, THERMPROCESS und NEWCAST
- Dekarbonisierungstechnologien mit Grünstrom und Wasserstoff
- Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0
- Wärmerückgewinnung und Energierückgewinnung
- Erneuerbare Energien im Industrieverbund
- Kreislaufwirtschaft: Vom klassischen Metallrecycling über das Recycling von Lithium-Ionen-Batterien bis zum Multi-Metall-Recycling aus Elektroschrotten