Industrialisierungsgrad additiver Verfahren schreitet voran
Eine aktuelle Studie unter Beteiligung des Fraunhofer-Instituts für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV erwartet innerhalb der nächsten vier Jahre ein Wachstum von rund 20 % im Bereich der additiven Fertigung. Vor allem bei vergleichsweise geringen Stückzahlen, z. B. wenn eine komplizierte Geometrie und ein hoher Individualisierungsgrad gefordert sind, haben sich die additiven Verfahren bereits erfolgreich behauptet. Bislang waren das vor allem im Werkzeugbau, der Luft- und Raumfahrt oder bei medizinischen Produkten der Fall.
Der Industrialisierungsgrad additiver Verfahren schreitet voran und mit dem Laserschmelzen von Metall gewinnen generative Fertigungsverfahren auch als vollwertige Fertigungstechnologien an Bedeutung. „Wir sind im Bereich der Serienfertigung angekommen“, bestätigt Dr.-Ing. Wolfram Volk, Professor an der TU München und geschäftsführender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV. Ein Verfahren wie das selektiven Laserschmelzen (SLM) von Metall sei aber eher bei kleineren Bauteilen wirtschaftlich. Professor Volk verweist auf das Beispiel der Automobilindustrie, wo bereits Stückzahlen im Bereich 1000 bis 2000 Bauteile additiv gefertigt werden.
Vielversprechende 3D-Drucktechnologie für Gießereien: Sand-Binder-Jetting
„Additive Fertigung kann die Angebote einer Gießerei signifikant verändern“, sagt Professor Volk. In der Gießereiindustrie sieht der Experte erhebliches Potenzial für den 3D-Druck vor allem bei indirekten Verfahren wie dem Sanddruck von Formen, Kernen und Modellen mittels Binder-Jetting. Beim Sand-Binder-Jetting werden Kerne und Formen schichtweise aus Sand aufgebaut, der mit einem aushärtenden Binder zusammengehalten wird. Der richtige Binder spielt dabei eine Schlüsselrolle. Gießereichemieunternehmen wie Hüttenes–Albertus, Reinsicht oder ASK haben daher spezielle Bindersysteme entwickelt, die genau auf die Anforderungen von additiv gefertigte Formen und Kernen abgestimmt sind.
Der eigentliche Gussvorgang bleibt beim Sand-Binder-Jetting unverändert. Diese nahtlose Integration in die klassischen Produktionsverfahren des Gießens sind ein entscheidender Vorteil gegenüber der direkten additiven Fertigung in Metall, auch im Prototypenbau. Die Eigenschaften additiv gefertigter Bauteile sind signifikant andere als von gegossenen Komponenten. Laserschmelzen von Metall zur Protoypenteilfertigung zu nutzen, ist daher sehr beschränkt. „Das direkte Verfahren lässt sich nutzen, um ein Demonstratorbauteil herzustellen, aber das geht meistens auch über indirekt additiv gefertigten Bauteile“, wie Experte Volk hervorhebt.
Komplexitätsgrad und Filigranität beim Binder-Jetting werden mit den herkömmlichen Gießverfahren nicht erreicht. Durch den Wegfall des Modellbaus verkürzt der Einsatz eines Sanddruckers deutlich die Herstellungszeiten von Gussbauteilen. Die Fertigung von Sandformen und -kernen oder Feingussmodellen ist in nur wenigen Stunden möglich. Das kann je nach Komplexitätsgrad eine Zeiteinsparung von mehreren Wochen bedeuten.
Im Gießereitechnikum des Fraunhofer IGCV arbeiten Volk und sein Team mit verschiedenen Anlagenherstellern zusammen. Gemeinsam mit den Experten des IGCV hat der Druckerhersteller Voxeljet in einem Projekt einen Sanddrucker entwickelt, der Formen für bis zu 80 t schwere Bauteile fertigen kann, etwa für Windenergieanlagen. „Die Skalierung der Technologie ist erfolgreich, die Wirtschaftlichkeit muss allerdings noch gezeigt werden“, wie Volk berichtet. Dem Vorteil der Nahtfreiheit gegenüber zusammengebauten Formen steht der Nachteil der technologische Aufwand der Skalierung der Anlage gegenüber.
Eine Alternative zum Drucken einer Großform ist das so genannte Stapel- oder Voxelgießverfahren, das auch am IGCV erforscht wird. Hierbei wird nicht eine große Form gedruckt, sondern einzelne Segmente, die dann wie ein 3-D-Puzzle wieder zusammengefügt werden. „Mit dem Stapel-Voxelguss haben wir sehr glatte Flächen, die man automatisiert zusammenbauen kann“, erläutert Volk, der in dem Verfahren eine sehr große Chance sieht. „Hier können wir mit dem automatisierten Zusammenbauen der Kernpakete, dem Abgießen und dem automatisierten Entgraten mit Robotern ein sehr wirtschaftliches Verfahren erreichen, mit dem wir sehr große Bauteile realisieren können.“
Hilfe auf See: Beispiel Sanddruck
Was heutige Sanddruckverfahren zu leisten vermögen, lässt sich am Beispiel Hetitec verfolgen. Die finnische Gießerei kann mithilfe des 3-D-Drucks von Sandformen und Kernen komplexe Gussteile bis zu 600 kg innerhalb weniger Tage fertigen. Das macht sie nach eigenen Angaben zur schnellsten Gießerei Finnlands. Mit diesem hybriden Ansatz des Printed Casting lässt sich die Geometriefreiheit des 3D-Druck mit dem Kostenvorteil des konventionellen Gießens kombinieren. Ein weiterer Vorteil: Gegenüber direkten metallverarbeitenden additiven Technologien verfügt der Metallguss über eine deutlich größere Materialvielfalt. Neben Eisenlegierungen kann Hetitec auch verschiedene spezielle Stahl- und Aluminiumlegierungen vergießen.
Was Tempo in der Praxis bedeutet, verdeutlicht das Unternehmen gern am Beispiel eines havarierten Eisbrechers. Das Schiff lag mit Motorschaden vor der kanadischen Küste, die übliche Lieferzeit für das benötigte Ersatzteil hätte fünf Monate betragen. Die Reederei wandte sich mit einem 2D-Konstruktionsplan des Bauteils an die finnische Gießerei, wo die Zeichnung innerhalb einer Stunde in eine 3D-CAD-Datei umgewandelt wurde. Am darauffolgenden Montag begann die Produktion mit dem 3D-Druck der Sandformen und am Freitag derselben Woche war das bearbeitete, fertige Gussteil auf dem Weg nach Kanada.
Hybride Fertigungsketten: Verbindung von additiver Fertigung mit dem Gießen
Das Sand-Binder-Jetting-Verfahren beschränkt sich nicht im Druck von Formen, Kernen und Modellen. Gießereiexperte Volk sieht auch in einer Verbindung von additiver Fertigung und Gießen erhebliches Potenzial. „Hybridfertigung, also das Eingießen von additiv gefertigten Bauteilen als Einlegeteil macht Sinn, um damit den Komplexitätsgrad zu steigern. Hier sehe ich das größte Potenzial bei den gebauten Sandgießverfahren.“ Mögliche Anwendungsfelder seien neben der Automobilindustrie (z.B. Batteriewannen) auch im Bereich Robotik oder der Medizingerätetechnik zu sehen.
Das Eingießen von Bauteilen wird seit Jahren erprobt. Erfolgreich beispielsweise am Fraunhofer IFAM in Bremen, wo mit der sogenannten Castronics-Technologie das direkte Eingießen elektronischer Sensoren und adaptronischer Funktionselemente im Druckgussverfahren entwickelt wurde. Mit der Verbindung von Druckgießen und additiver Fertigung konnte das IFAM vor zwei Jahren einen E-Motor-Gehäuse mit eingegossenem Kühlkanal vorstellen.
In einem weiteren Forschungsprojekt haben die Fraunhofer-Institute IWS und IWU hybride Fertigungsketten für automobile Anwendungen untersucht. Gemeinsam mit dem Autozulieferer Edag Engineering und der Gießerei Trimet Automotive (heute Bohai Trimet) wurde das Ein- bzw. Angießen von additiv erzeugten metallischen Bauteilen untersucht. Ziel des Forschungsprojekts CastAutoGen war es, den beim Gießen entstehenden Kostenvorteil (Skaleneffekt) zu nutzen, um auch bei größeren Stückzahlen mit additiver Fertigung eine bessere Wirtschaftlichkeit zu erzielen. Durch das Eingießen additiv gefertigter metallischer Komponenten, z.B. als Wärmetauscher oder als Verstärkung, lässt sich die Funktionalität eines Bauteils erhöhen. Damit steigen zwar auch die Herstellkosten gegenüber einem reinen Druckgussbauteil, liegen aber deutlich unterhalb einer rein additiven Fertigung.