Bis zum Jahr 2045 strebt Deutschland Treibhausgasneutralität an, jedoch produzierte die deutsche Industrie im Jahr 2021 rund 181 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Damit ist sie für etwa ein Viertel, konkret 24 Prozent, der gesamten nationalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Von diesen industriellen Emissionen gehen etwa zwei Drittel auf das Konto der energieintensiven Branchen, wobei die Stahl- und Zementindustrie allein für die Hälfte dieser Emissionen steht.
Die Dekarbonisierung in Bereichen mit prozessbedingten Emissionen und hohen Prozesstemperaturen ist besonders schwierig. Um dies erfolgreich umzusetzen, sind innovative technologische Ansätze und langfristig stabile politische Rahmenbedingungen unerlässlich. Diese bieten der Industrie die notwendige Planungssicherheit für erforderliche Investitionen.
Das Projekt "DekarbInd" fokussierte sich genau auf diesen Bereich. Wissenschaftler des Fraunhofer ISI und des Wuppertal Instituts entwickelten unter anderem zentrale Aspekte für Dekarbonisierungs-Roadmaps speziell für die Stahl- und Zementindustrie. Über einen Zeitraum von zwei Jahren fanden mehrere Workshops statt, in denen Stakeholder aus verschiedenen Bereichen – darunter Wirtschaft, Industrie, Verbände, gesellschaftliche Gruppen, Politik, Behörden und Wissenschaft – partizipativ interagierten. Die Grundlagen für beide Roadmaps bildeten die Entwicklung gemeinsamer Visionen, die Erörterung möglicher Transformationswege, die Identifikation von Förderern und Hindernissen sowie die Ausarbeitung spezifischer Maßnahmen und Handlungsfelder.
Die für die Stahlindustrie entwickelte Roadmap basiert auf der Vision, bis 2050 eine Dekarbonisierung zu erreichen, wobei der Sektor sowohl global wettbewerbsfähig bleiben als auch sein hohes gesellschaftliches Ansehen beibehalten soll. In der Umgestaltung wird vor allem der Aufbau neuer Direktreduktionsanlagen, die mit grünem Wasserstoff betrieben werden, als aussichtsreich angesehen, obwohl diese mit hohen Kosten verbunden sind. Zusätzlich ist geplant, den Einsatz von Schrott in der Stahlproduktion zu erhöhen und die Dekarbonisierung in der Elektrostahlherstellung weiter voranzutreiben.
Aktuelle Hauptbarrieren für den Wandel sind ein noch nicht festgelegter regulatorischer Rahmen sowie das Fehlen einer allgemein akzeptierten Definition von "grünem Stahl". Um diese Herausforderungen zu bewältigen, sollten gezielte Maßnahmen ergriffen werden. Beispielsweise könnte das "Fit für 55"-Programm der EU, das verbindliche Gesetze zur Reduzierung der Netto-Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent bis 2030 vorsieht, in bestimmten Bereichen präzisiert werden. Die Einführung einheitlicher Standards zur Messung der CO2-Intensität von Stahlprodukten wäre ebenfalls hilfreich, nicht zuletzt, um die Entwicklung von Leitmärkten für grünen Stahl zu fördern.
Ein weiteres Hindernis stellt der Mangel an Ressourcen wie Wasserstoff dar. Eine mögliche Lösung hierfür könnte die Erweiterung der Versorgung durch internationale Märkte sein. Um das Problem des Mangels an hochwertigem Schrott zu adressieren, das hauptsächlich auf unzureichende Recycling-Geschäftsmodelle und die schlechte Recycelbarkeit von Endprodukten zurückzuführen ist, könnten Maßnahmen wie eine verbesserte Produktregulierung und eine intensivere Förderung von Forschung und Entwicklung hilfreich sein.
Zusätzliche Faktoren wie die Digitalisierung und die Nutzung von Künstlicher Intelligenz könnten dazu beitragen, die Herstellungsprozesse generell effizienter zu gestalten. Als zentrale Handlungsfelder gelten mittel- und langfristig die fortlaufende Anpassung und Weiterentwicklung von gesetzlichen Bestimmungen und Rahmenbedingungen.
Im Rahmen des Projekts "DekarbInd" wurde neben zukunftsorientierten Roadmaps auch ein umfassendes Bewertungsschema entwickelt, das stärker auf die aktuelle Anwendung klimaneutraler Technologien ausgerichtet ist. Dr. Ali Aydemir, Projektleiter von "DekarbInd" am Fraunhofer ISI, erläutert: »Neben rein techno-ökonomischen Kriterien spielen ökologische, soziale und systemische Aspekte bei industriellen Technologien eine zunehmend wichtigere Rolle. Unser im Projekt entwickeltes Entscheidungsinstrument auf Excel-Basis ist weniger ein Bewertungsschema im klassischen Sinne, sondern soll vielmehr helfen, langfristige Entwicklungen zu berücksichtigen und mögliche Einschränkungen und Konflikte frühzeitig zu erkennen.«
Die Anwendung funktioniert in drei Phasen: Im ersten Schritt werden verschiedene Technologien oder technische Lösungen erfasst. Anschließend werden diese im zweiten Schritt miteinander verglichen, wie beispielsweise "CO2-arme Technologien zur Dampferzeugung". Im dritten und abschließenden Schritt werden die Ergebnisse eingeordnet, visualisiert und interpretiert, um sowohl die positiven als auch die problematischen Aspekte der untersuchten Technologie herauszustellen.
Bei der vergleichenden Analyse der Technologien werden Kriterien wie der Einsatzhorizont, die technische Verfügbarkeit und die Effizienz berücksichtigt. Das hieraus resultierende Wissen ist speziell für Experten gedacht, die die Ergebnisse letztendlich evaluieren.