Die Eisenschwammherstellung wird sicher früher oder später eine große Rolle in der Stahlindustrie spielen. Primetals arbeitet hier mit Midrex zusammen. War das schon immer so, oder wurden auch andere Alternativen in Betracht gezogen?
Es gibt nicht viele Wege, CO2-neutralen Stahl zu erzeugen, aber einer davon ist die Direktreduktionstechnologie zur Erzeugung von Eisenschwamm. Beginnt man hier mit Erdgas als Reduktionsmittel, kann man schrittweise oder vollständig auf grünen Wasserstoff oder CO2-armen Wasserstoff umsteigen, sobald dieser in großem Maßstab verfügbar ist. Daher ist dies einer unserer Schwerpunkte. Außerdem arbeiten wir schon seit mehr als 40 Jahren erfolgreich mit Midrex zusammen. Es handelt sich um eine sehr enge und außergewöhnliche Partnerschaft, auf die wir stolz sind. Die Midrex-Technologie ist schachtbasiert, d. h. von oben werden Eisenerz-Pellets zugeführt und unten kommt Eisenschwamm heraus. Bei Bedarf kann dieser für den weltweiten Versand auch in HBI (Hot Briquetted Iron) umgewandelt werden.
Erzählen Sie uns doch etwas über den momentanen Stand Ihrer aktuellen Innovationsprojekte in diesem Bereich.
Das F&E-Leuchtturmprojekt, das wir weiter verfolgen, ist HYFOR. HYFOR steht für Hydrogen-based Fine Ore Reduction, also wasserstoffbasierte Feinerzreduktion. Wir haben beträchtlich in die Forschung und Entwicklung einer industriellen Pilotanlage bei voestalpine in Donawitz investiert. Es ist eine beeindruckende, riesige Anlage. Zusammen mit bedeutenden Bergbaubetrieben haben wir den Eisenerzmarkt analysiert. Haben haben wir uns sowohl die aktuelle Situation angesehen als auch Zukunftsprognosen erstellt. Die Bergbauunternehmen sind allesamt besorgt um die Zukunft ihres Marktes. Ihre Hauptabnehmer sind zurzeit die Sinteranlagen und die Hochöfen. In vielen Berichten von Beratungsunternehmen und Organisationen wie Worldsteel und den nationalen Energieverbänden sehen wir, wie sich die Landschaft technologisch verändern wird. Heute werden 70 Prozent der weltweiten Stahlerzeugung in traditionellen Hochöfen produziert. Im Jahr 2050 wird jedoch nur noch die Hälfte der Hochofenkapazität für die Erzeugung von Roheisen und anschließend von Stahl benötigt werden. Die Bergbaubetriebe machen sich also Gedanken darüber, an welche Abnehmer sie ihr Eisenerz in Zukunft liefern können. Da sich die Technologien im Wandel befinden, sind die Unternehmen sehr daran interessiert zu untersuchen, ob und wie sich ihr Eisenerz für die neuen Technologien eignet. Als Technologieanbieter arbeiten wir sehr eng mit den großen Bergbaubetrieben zusammen. Das gemeinsame Ziel war es, das Risiko für die HYFOR-Technologie zu verringern. Wir haben einige Jahre lang im Labormaßstab gearbeitet und sind überzeugt, dass es sich um eine gute Technologie handelt. Aber man muss auf jeden Fall die Skalierungsphasen durchlaufen. Jetzt haben wir die Pilotanlage in Betrieb genommen. Die gemeinsame Inbetriebnahme fand im Juni 2021 statt. Hinzu kommen all die kleinen Verbesserungen, die eine neue Technologie mit sich bringt; wir mussten bis Anfang 2022 Anpassungen und Optimierungen vornehmen, während die Anlage bereits betrieben wurde. Bis Jahresende sind wir voll ausgelastet und analysieren verschiedene Eisenerze für zahlreiche Kunden. Vor Kurzem haben wir mit dem führenden österreichischen Stahlhersteller voestalpine, mit Fortescue, einem der weltweit führenden Unternehmen in der Eisenerzindustrie, und mit der Mitsubishi Corporation vereinbart, gemeinsam den Bau einer Prototypanlage im industriellen Maßstab zu untersuchen und sie vollständig mit grünem Wasserstoff zu betreiben, der am selben Standort mit einer Elektrolyseanlage erzeugt wird. Wir freuen uns sehr über diese Chance und arbeiten intensiv mit unseren Partnern zusammen, um die Projektplanungsphase noch in diesem Jahr abzuschließen.
Und mit „Kunden“ meinen Sie die Bergbaubetriebe?
Nicht ausschließlich. Ein Beispiel ist ArcelorMittal: Das Unternehmen hat seine eigenen Minen, ist aber auch ein Stahlproduzent. Ich kann nicht offenlegen, mit wem wir alles zusammenarbeiten, da viele der Unternehmen in diesem Bereich marktführend sind. Wir führen laufend Studien an den Eisenerzen durch und liefern Berichte und Nachweise darüber, wie sie sich entwickeln. Es gibt viele Themen im Zusammenhang mit den Verbrauchszahlen, den Problemen mit dem Eisenerz, der Funktionsweise der Wirbelschicht und so weiter. Uns ist es wichtig, für die letzte Hochskalierungsphase eine große Datenbasis zu haben.
Lassen Sie mich diese Frage ganz offen stellen: Gibt es noch weitere Kriterien zum Thema grüner Stahl, die erwähnt werden sollten?
Elektrifizierung. Viele Stahlhersteller haben vor, Elektrolichtbogenöfen mit einem flexiblen Mix aus Zufuhrmaterialien zu realisieren – je nach Qualität des Endprodukts. Integrierte Stahlwerke sollen zu Hybridwerken werden. In diesem Fall würde ein Hochofen weiter betrieben, der andere ausgeblasen und stattdessen ein Elektrolichtbogenofen gebaut, der je nach Qualitätsvorgabe mit einer flexiblen Mischung aus Schrott, HBI, Roheisenerz oder flüssigem Roheisen befüllt wird. Das ist übrigens eine der Hürden. „Lasst uns die Stahlherstellung elektrifizieren und nur Schrott umschmelzen“ ist leicht gesagt. Aber dabei gibt es zwei Hürden: Schrott ist in den dafür benötigten Mengen gar nicht verfügbar. Die zweite Schwierigkeit ist die Schrottqualität. Wenn man sich die voestalpine und andere Unternehmen ansieht, merkt man, dass sie für Automobilanwendungen sehr hohe Stahlgüten benötigen. Diese sind sehr empfindlich gegenüber unerwünschten Begleitstoffen und man kann sie nicht zu 100 Prozent aus Schrott herstellen. Da braucht man auch einen gewissen Anteil an reinen Ausgangsstoffen. Das ist also unsere zweite Säule, bei der wir uns verstärkt auf F&E und Portfolio-Optimierung konzentrieren. Die dritte Säule ist kurz gefasst Kohlendioxidabscheidung und -nutzung (oder CCU – Carbon Capture and Utilisation). Man kann CO2-Emissionen nicht vermeiden, besonders in Indien oder China, wo es ganz neue Hochöfenbestände gibt – der Ausweg ist hier CCU. Wir halten Anteile an Lanzatech, einem weiteren Start-up-Unternehmen aus den USA, das im Bereich Biofermentierung tätig ist. Gemeinsam arbeiten wir an dem Steelanol-Projekt, das ich vorhin erwähnt habe. Dieses Werk nutzt Mikroorganismen und wandelt die Kohlenstoffabgase CO und CO2 in Chemikalien und Kraftstoffe um. Die erste solche Anlage, die in Europa in Betrieb genommen wurde, ist die von ArcelorMittal in Gent. Es handelt sich um ein Gemeinschaftsunternehmen von ArcelorMittal, Primetals und Lanzatech, das erste seiner Art in Europa. Die Anlage wurde Ende letzten Jahres in Betrieb genommen. Lassen Sie mich hier anmerken, dass MHI mit Abstand Marktführer bei Technologien zur Kohlendioxidabscheidung ist. Die Gruppe hat viel Erfahrung mit der Kohlendioxidabscheidung in Kraftwerken und Raffinerien. MHI und Primetals Technologies bringen nun diese Technologie in der Stahlindustrie zur Anwendung.
Das sind also die drei Säulen, mit denen man die CO2-Neutralität erreichen kann.
Da es hier viel um CO
2-Neutralität und Dekarbonisierung ging, möchte ich noch hinzufügen, dass grüner Stahl eigentlich ein viel breiteres Konzept ist. Es dreht sich nicht nur um die Dekarbonisierung, sondern deckt noch viele weitere Themen wie Energieeffizienz, Technologien und Optimierung ab. Wir bezeichnen mit diesem Begriff jede Art von Emissionsreduzierung, egal ob Feinstaub, NOx, SOx, Dioxine oder Schwermetalle – aber auch die Kreislaufwirtschaft spielt eine wichtige Rolle. Die Wiederverwertung von Nebenprodukten wie Staub, Schlamm, Schlacke, Synergieeffekte mit der Zementindustrie – an diesem Bereich arbeiten wir derzeit sehr intensiv. Und zuletzt ist da noch die Wasserknappheit. Wir versuchen, alle Prozesse so zu optimieren, dass so wenig Wasser wie möglich verbraucht wird. Eine trockene Abgasreinigung und trockene Prozesse reduzieren den Wasserverbrauch je produzierter Tonne Stahl wirklich erheblich.