Green Steel – oder „Grüner Stahl“ – ist aktuell der gefragteste Begriff, wenn es um die klimaneutrale Stahlindustrie geht. Stahl – also jenes Produkt, dass seit Jahrzehnten das Rückgrat der Industrieproduktion ist – soll in Zukunft grün werden. So will die Stahlindustrie ihre CO2-Emissionen sukzessiv auf null reduzieren.
Viele Stahlerzeuger mit integriertem Hüttenwerk – unter anderem thyssenkrupp Steel, Salzgitter AG, ArcelorMittal, Tata Steel Europe – haben Programme aufgelegt, um auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Wichtig zu erwähnen ist, dass bisher keine einheitliche oder allgemeingültige Definition für Green Steel existiert. Ab wann ein Stahlprodukt wirklich grün ist, ist also noch offen. Die Bedeutung des Begriffs kann je nach Stahlhersteller oder Land entsprechend variieren.
Die drei Bausteine des Labelsystems Grüner Stahl (Bild: Wirtschaftsvereinigung Stahl)
Zur diskutierten Definition
Das Schaffen von grünen Leitmärkten ist ein wichtiges politisches Instrument, um die Dekarbonisierung durch grünen Stahl zu unterstützen. Damit soll die Nachfrageseite des grünen Produkts gestärkt werden. Letztlich werden so staatliche Anschubfinanzierungen entlastet und langfristig abgelöst.
Für grüne Leitmärkte braucht es eine Definition von CO2-freiem Stahl. Da diese Definition noch nicht vorliegt, werden keine Fortschritte bei der Etablierung der Leitmärkte erzielt. Positiv ist, dass erste Grundlagen mit Handlungskonzepten und Nationaler Wasserstoffstrategie geschaffen wurden. Die Diskussion um eine Definition wird international geführt. Dies birgt die Gefahr, dass sich unterschiedliche regionale Standards herausbilden – ein Nachteil für den exportstarken Industriestandort Deutschland.
Die Notwendigkeit, sich auf eine tragfähige, international anerkannte Definition zu einigen, wird mittlerweile überall anerkannt. Grundlage könnte der Vorschlag der internationalen Energieagentur sein, der im Rahmen der G7 unterbreitet wurde. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl nimmt diesen Faden auf und schlägt ein Labelsystem für grünen Stahl vor.
Klassifizierungsstufen für grünen Stahl sind ähnlich selbsterklärend wie beim Energielabel (Bild: Wirtschaftsvereinigung Stahl)
Hierbei stellen sich einige Anforderungen an die Definition:
Die Vereinbarkeit mit Markthochläufen - Abbildung des stufenförmigen Transformationsprozesses entlang der Verfügbarkeit von grüner Energie.
Hohe Ambition – Ambitionierte Ziele, damit Investitionen in klimaneutrale Produktion belohnt werden.
Belohnung transformativer Prozesse – Belohnt werden sollen Anstrengungen, die im Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität stehen.
Internationale Anschlussfähigkeit – Grüne Leitmärkte müssen europäisch gedacht und zentraler Eckpunkt internationaler Klimaclubs werden.
Kreislaufwirtschaft – Wer heute zu 100 % auf Schrottbasis produziert, darf keine Nachteile erfahren. Die Steigerung des Schrotteinsatzes alleine führt aber noch nicht zu Klimaneutralität.
Glaubwürdigkeit – Zertifizierbarkeit auf der Basis einheitlicher Regeln und etablierter ISO Normen. Bilanzierung nur wenn technisch notwendig und unter klar definierten Bedingungen.
Ein wesentlicher Baustein des Labelsystems ist Transparenz zu einem spezifischen Stahlprodukt („Product Carbon Foodprint). Dies ermöglicht es dem Kunden den genauen CO2 Gehalt eines Produkts entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu „tracken“. Der Bilanzraum streckt sich dabei von Scope 1 – Scope 3U. Die unternehmensspezifische Systemgrenze wird dabei von „cradle to gate“ festgelegt.
Ein weiterer Baustein ist die Transparenz über die Klimafreundlichkeit des Produktionsprozesses. Auch hier beläuft sich der Bilanzraum auf Scope 1 – bis Scope 3U. Diese Transparenz soll der politischen Steuerung von grünen Leitmärkten dienen. Besagter Baustein lässt dabei eine Bilanzierung nur in technisch begründeten Fällen und unter klar definierten Grenzen zu. Die einheitliche Systemgrenze verläuft bis zum warmgewalzten Stahl.
Für eine zukünftige grüne Stahlproduktion könnte Ammoniak ein wichtiges Reduktionsgas werden (Bild: T. You, Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH)
Der Prozess
Grüner Stahl wird aus direktreduziertem Eisen (DRI) ohne fossile Energieträger hergestellt. Das DRI-Verfahren – Direct Reduced Iron – greift dabei auf Wasserstoff als Reduktionsmittel zurück. Damit unterscheidet sich das Verfahren von der klassischen Hochofen-Route, die hierfür Koks einsetzt. Statt CO2 entsteht so mit der Reaktion zwischen Eisenoxid und Wasserstoff umweltverträglicher Wasserdampf. Für die Erzeugung von Wasserstoff braucht man wiederum Strom, für grünen Stahl muss dieser Strom aus erneuerbaren Energiequellen bezogen werden.
Das Direktreduktionsverfahren
Im DRI-Schachtofen wird Eisenerz in Form von Pellets oder Stücken zu Eisenschwamm reduziert. Oben wird Eisenerz eingefüllt, das kontinuierlich im Schacht herunter sackt. Zeitgleich strömt Reduktionsgas – Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2) – den Ofen hinauf. Das Gas beraubt dem Eisen die Sauerstoffatome. So wird aus Fe2O3 erst Fe3O4, dann FeO und schließlich Fe, also Eisen mit einem Rest Kohlenstoff, das unten als fester heißer Eisenschwamm entnommen wird.
Da der Bedarf an Wasserstoff für das DRI-Verfahren enorm ist, kann als Übergangslösung Erdgas verwendet werden. Auch mit Erdgas wird der CO2-Ausstoss im Vergleich zum Hochofen erheblich reduziert. Übrigens kann für die Direktreduktion auch das Wasserstoffderivat Ammoniak verwendet werden.
Der produzierte Eisenschwamm kann nun auf zwei Wegen weiterverarbeitet werden. Einmal kann es in das Einschmelzaggregat eingeführt werden. Hier entsteht unter Zuhilfenahme von grünem Strom flüssiges Roheisen. Dieses wird in einem weiteren Schritt mit Torpedowagen zum Sauerstoffkonverter gebracht. In diesem entsteht dann mit der Zuführung von Stahlschrott und Sauerstoff der Rohstahl. Als Nebenprodukt bildet sich im Sauerstoffkonverter das Konvertergas, welches als niederkalorisches Brenngas beispielsweise zur Stromerzeugung eingesetzt werden kann.
Im Elektrolichtbogenofen
In einem zweiten Weg kann der Eisenschwamm dem Elektrolichtbogenofen zugeführt werden. Beim dort angewendeten Elektrostahlverfahren wird auch Stahlschrott oder Roheisen verarbeitet. Wie beim Einschmelzaggregat wird dieser mit grünem Strom aus erneuerbaren Energien betrieben. Der Flüssigstahl wird in einer Stahlpfanne abgegossen und zur Weiterverarbeitung in die Sekundärmetallurgie transportiert.
Die im Elektrolichtbogenofen oder im Sauerstoffkonverter erzeugte Schmelze wird in der Sekundärmetallurgie verfeinert, um daraus anschließend in einem Gießverfahren – etwa im Stranggussverfahren – Rohstahlprodukte herzustellen: Brammen, Vorblöcke oder Vorprofile.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Neben nachhaltigen Einsatzmaterialen wie grünem Eisenschwamm und grünem Wasserstoff ist der Einsatz von grünem Strom aus erneuerbaren Energien entlang der gesamten Prozesskette ist ein wesentliches Kriterium für das Label „Grüner Stahl“.