Dr. Monika Griefahn ist Expertin zum Thema Umsetzung von E-Mobilität. Sie ist ehemalige Umweltministerin von Niedersachsen, Bundestagsabgeordnete und Abgeordnete im Europäischen Parlament für die Sozialdemokraten sowie Mitbegründerin von Green Peace Deutschland.
Thomas Fritsch (TF): Frau Dr. Griefahn, für Teile der Automobilindustrie und deren Zulieferer kann batterieelektrische Mobilität nicht das letzte Wort sein, zumal die Zulassungszahlen für sogenannte BEVs gerade nicht im politisch gewünschten Maß zulegen. Wo stehen wir in der Wende der Antriebstechnologien in Europa?
Monika Griefahn (MG): Der Anteil erneuerbarer Energien im Verkehr stagniert auf niedrigem Niveau. Damit ist der Verkehrssektor weiterhin Sorgenkind jeglicher Klimaschutzbemühungen. Mit gerade einmal 7,5 Prozent Erneuerbaren am gesamten Kraftstoffangebot im Straßen- und Schienenverkehr verfehlt der europäische Verkehrssektor selbst die verbindliche Zehn-Prozent-Quote der ersten europäischen Erneuerbaren-Energien-Richtline – darunter auch wichtige Zugpferde wie Frankreich, Deutschland und Spanien. Es ist wichtig, ambitionierte Ziele zu verabschieden. Doch die Umsetzung liegt in den Händen der Industrie. Wenn der Weg hin zu diesen ambitionierten Zielen künstlich verlängert oder gar erschwert wird, werden diese Ziele schlicht nicht erreicht. Auch wenn unser klimapolitisches Verständnis in Europa weiter steigt, stehen wir ehrlicherweise noch am Anfang der Energiewende – nicht nur im Verkehr, sondern in allen Sektoren.
„Es wäre ein Fehler, wenn wir uns nur auf Auspuffemissionen konzentrieren.“
TF: Sind die Klimaziele der EU, bis 2035 aus dem Verbrennerantrieb auszusteigen, noch realistisch?
MG: Nein. Das unterstreichen beinahe tägliche Meldungen über den stockenden Hochlauf der Elektromobilität. Einige Hersteller haben bereits kommuniziert, dass sich ihr Produktportfolio klar nach den Wünschen der Kunden richtet – und diese kaufen weiterhin Verbrenner. Selbst in China, unserem größten Konkurrenten, wird die Verbrennertechnologie noch Jahrzehnte eine Rolle spielen, nämlich insbesondere in den Regionen, in denen eine vollständige Elektrifizierung nur schwer umzusetzen ist.
TF: Anstatt sich nur auf Elektromobilität zu fokussieren, führen Skeptiker gerne den viel strapazierten Begriff der Technologieoffenheit ins Feld. Welche Technologien sehen sie derzeit noch im Rennen und welche Chancen haben die sogenannten eFuels?
MG: Alle Technologien haben ihre Daseinsberechtigung als auch ihren Nutzen, wenn sie langfristig klimaneutral betrieben werden können. Genauso gilt es zu betonen, dass alle Technologien Vor- und Nachteile haben. Es gilt, einen sinnvollen, praktikablen und bezahlbaren Wandel im Verkehrssystem einzuleiten. Die Elektromobilität, Wasserstoff und auch eFuels werden sich langfristig in unterschiedlichen Anwendungsfällen in den Bereichen unseres Verkehrssektors etablieren. Wichtig ist dabei nur, dass wir Klimaschutz entlang der gesamten Wertschöpfungskette denken und uns nicht nur auf Auspuffemissionen konzentrieren. Realer wirksamer Klimaschutz ignoriert keine Treibhausgasemissionen, die bei der Produktion oder dem Transport von Fahrzeugen, Batterien oder Kraftstoffen entstehen. Etablieren wir dieses Denken, haben alle Technologien eine Chance.
„Wir dürfen den aktuellen Fahrzeugbestand nicht aus den Augen verlieren.“
TF: Welche konkreten Vorteile bietet der Einsatz von eFuels und wo sehen Sie die interessantesten Einsatzmöglichkeiten in der Mobilität der Zukunft?
MG: eFuels wirken in Kombination mit der Elektromobilität als zusätzlicher Beschleuniger zur Reduktion von CO2-Emissionen im Verkehrssektor und damit eines realen und pragmatischen Klimaschutzes. CO2-neutrale Kraftstoffe ermöglichen nicht nur einen klimaneutralen Betrieb des weltweiten Bestands an PKW, LKW, Flugzeugen und Schiffen, sondern können zudem als Rohölersatz in der chemischen Industrie verwendet werden. Gleichzeitig sind eFuels die Lösung für die Bereiche, in denen eine Elektrifizierung nur schwer zu realisieren ist – wir sprechen hier unter anderem vom Schwerlastverkehr, dem Offroad- und maritimen Sektor sowie von der Luftfahrt. Hier gilt es, Skaleneffekte zu nutzen und breite Anwendungsfelder für schnelle Preissenkungen zu ermöglichen. Eine effiziente und schnelle Verkehrswende kann nur in Kombination von eFuels und elektrifizierten Antrieben realisiert werden. Faktische Technologieverbote können nicht die Antwort ein.
TF: Haben eFuels eine realistische Chance und was müsste sich dazu technologisch, politisch und gesellschaftlich bewegen?
MG: Der Einsatz von eFuels ist alternativlos – besonders in der Luftfahrt und in der Schifffahrt. Ob und in welchen Mengen eFuels auch im Straßenverkehr eine Rolle spielen werden, entscheidet die Politik. Und das sollte in Brüssel nicht erneut um Jahre verzögert werden, denn der weltweit enorme Bestand an Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen und Offroad-Anwendungen ist ohne Alternative weiterhin auf fossile Kraftstoffe angewiesen.
Bislang stehen die politischen Rahmenbedingungen dem Markthochlauf von eFuels klar im Weg. Fehlende Planungs- und Investitionssicherheiten, zu restriktive und komplizierte Anforderungen für die Produktion von grünem Wasserstoff oder dem Import erneuerbare Kraftstoffe in die Europäische Union lähmen die Branche. Oft wird beklagt, dass eFuels nur in Kleinstmengen produziert werden und zu teuer sind. Dabei ignorieren Kritiker schlicht die Tatsache, dass eine Skalierung unter den bisherigen Rahmenbedingungen wirtschaftlich nicht attraktiv ist. Wollen wir auch die großen Ölkonzerne dazu bewegen, ihr Geld in Klimaschutz zu investieren, muss dieser Bereich zwingend attraktiver gestaltet werden.
„Europa ist zu streng mit sich selbst“
TF: Europa sucht als Vorzeigekontinent gerade seine Rolle in einer sich verändernden geopolitischen Landschaft, welche Impulse könnten von Europa ausgehen, die Klimaschutz nicht nur streng regulatorisch darstellen, sondern mit Begeisterung vorangehen und zur Teilnahme einladen?
MG: Ich bin überzeugt, dass Europa seine Rolle als weltweiter klimapolitischer Vorreiter bereits eingenommen hat. Das ist auch gut so und begrüßenswert. Doch mit unserer restriktiven Art beschneiden wir die führende Rolle unserer Unternehmen und drohen in vielen Bereichen ins Hintertreffen zu geraten. Wir konzentrieren uns seit einiger Zeit zu sehr auf uns selbst und vergessen, dass die Nettonull 2050 ein globales Projekt ist. Europa muss sich wieder öffnen, verbindliche internationale Partnerschaften eingehen, Synergieeffekte nutzen und in neuen Märkten mit gezielten Förderungen und offenen Regulierungen für Anschub sorgen. Es ist kaum möglich, im Jahr 2030 Rahmenbedingungen umzusetzen, die wir erst 2040 erreichen werden. Unser Wirtschaftsraum muss wieder attraktiv werden – für deutsche, europäische und internationale Unternehmen.
TF: Vielen Dank für das Gespräch Frau Dr. Griefahn und viel Erfolg für Ihre Arbeit.
Über Dr. Monika Griefahn:
Dr. Monika Griefahn
Vorstandsvorsitzende
Dr. Monika Griefahn ist Vorstandsvorsitzende der eFuel Alliance und Gründungsmitglied von Greenpeace Deutschland. Von 1984 bis 1990 arbeitete Monika Griefahn als erste Frau im internationalen Vorstand von Greenpeace. Von 1990 bis 1998 war sie Umweltministerin in Niedersachsen. Damals wie heute setzt sie sich für eine neue Energiepolitik ein: für erneuerbare Energien und den Ausstieg aus der Atomenergie. Von 2012 bis 2018 war Monika Griefahn ebenfalls Direktorin für Umwelt und Gesellschaft bei der Kreuzfahrtreederei AIDA Cruises. Die Neuausrichtung des Unternehmens hin zur Nutzung von Flüssigerdgas als Schiffstreibstoff begleitete sie maßgeblich mit. Monika Griefahn ist vielfältig ehrenamtlich engagiert und wurde 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.