Forschern am Lawrence Berkeley National Laboratory ist es gelungen, den höchsten Zähigkeitswert bei einer Legierung festzustellen, die jemals bei einem Material festgestellt wurde. Es handelte sich um Metalllegierung aus Chrom, Kobalt und Nickel (CrCoNi). Das Metall zeichnet sich nicht nur durch seine extreme Festigkeit und Zähigkeit aus, die Materialeigenschaften verbessern sich zudem bei abnehmenden Temperaturen, was es von anderen Materialien unterscheidet.
Die gefundenen Ergebnisse wurden von dem Team, das aus Forschern des Lawrence Berkeley National Laboratory (Berkeley Lab) und des Oak Ridge National Laboratory (ORNL) besteht in der Zeitschrift Science veröffentlicht.
„Wenn man Konstruktionsmaterialien entwirft, möchte man, dass sie stark, aber auch dehnbar und bruchfest sind“, so Easo George vom Lehrstuhl für fortgeschrittene Legierungstheorie und -entwicklung beim ORNL, Co-Leiter des Projekts. „Normalerweise bleibt es ein Kompromiss zwischen diesen Eigenschaften. Aber dieses Material ist beides, und anstatt bei niedrigen Temperaturen spröde zu werden, wird es härter.“
Hochentropie-Legierungen
CrCoNi gehört der Klasse der Hochentropie-Legierungen (HEAs), die sich aus einer gleichwertigen Mischung der einzelnen Legierungsbestandteile zusammensetzt. Diese Atomrezepturen scheinen einigen dieser Werkstoffe eine außerordentlich hohe Festigkeit und Duktilität bei Belastung zu verleihen.
„Die Zähigkeit dieses Materials bei Temperaturen von flüssigem Helium (20 Kelvin) beträgt bis zu 500 MPa√m. Die Zähigkeit eines Stücks Silizium liegt bei 1 MPa√m, die von Aluminium in Passagierflugzeugen bei etwa 35 MPa√m und die von einigen der besten Stähle bei etwa 100 MPa√m. Der Wert 500 ist also eine erstaunliche Zahl“, erklärt Robert Ritchie, leitender Wissenschaftler in der Abteilung Materialwissenschaften des Berkeley Labs.
Gitterstruktur für Festigkeit
Bei vielen festen Stoffen, auch Metallen, liegt eine Gitterstruktur vor, die Festigkeit und Zähigkeit des Materials ergibt sich aus den physikalischen Eigenschaften des Gitters. Kraftausübungen auf das Material resultiert in Versetzungen in der Gitterstruktur und einer daraus resultierten Formänderung. Je leichter sich die Versetzungen bewegen können, desto weicher ist auch das Material. Wird die Bewegung der Versetzungen andererseits durch Hindernisse in Form von Gitterunregelmäßigkeiten blockiert, ist das Material fester. In der Regel wird es allerdings auch spröder und anfälliger für Risse.
Das Forscher-Team untersuchte die Gitterstrukturen von CrCoNi-Proben, die bei Raumtemperatur und 20 K gebrochen waren. Bei der Messung von Festigkeit und Duktilität wird eine unbearbeitete Metallprobe gezogen, bis sie bricht, während bei Bruchzähigkeitsprüfungen vorher ein scharfer Riss in die Probe eingebracht und dann die Spannung gemessen wird, die erforderlich ist, um den Riss wachsen zu lassen.
Die Zähigkeit der CrCoNi-Proben ist auf eine Kombination von Versetzungshindernissen zurückzuführen, die in einer bestimmten Reihenfolge wirksam werden, wie die Analyse der Daten zeigte. Die bestimmte Abfolge atomarer Wechselwirkungen sorgt dafür, dass das Metall weiter fließt, aber auch immer wieder auf neuen Widerstand durch Hindernisse stößt, weit über den Punkt hinaus, an dem die meisten Materialien unter der Belastung brechen.
„Während man also daran zieht, setzt der erste Mechanismus ein, dann der zweite, der dritte und der vierte“, erklärt Ritchie.
Bemerkenswerte Erkenntnisse
Die Erkenntnisse der Studie könnten zu einem Umdenken bei etablierten Vorstellungen in den Materialwissenschaften führen.
„Metallurgen sagen, dass die Struktur eines Materials seine Eigenschaften bestimmt, aber die Struktur von NiCoCr ist die einfachste, die man sich vorstellen kann - sie besteht nur aus Körnern“, so Ritchie.
„Wenn man es jedoch verformt, wird die Struktur sehr kompliziert. Diese Verschiebung trägt dazu bei, seine außergewöhnliche Bruchfestigkeit zu erklären“, ergänzt Co-Autor Andrew Minor, Direktor des National Center of Electron Microscopy der Molecular Foundry am Berkeley Lab und Professor für Materialwissenschaft und Ingenieurwesen an der UC Berkeley.
Trotz der Relevanz der gefundenen Erkenntnisse ist es noch ein weiter Weg, bis diese tatsächlich in der Praxis angewendet werden können.
„Wenn Sie in einem Flugzeug sitzen, würden Sie dann gerne hören, dass die Legierung, die Sie vor einem Absturz aus 40.000 Fuß Höhe bewahrt, erst vor ein paar Monaten entwickelt wurde? Oder möchten Sie nicht lieber, dass die Materialien ausgereift sind? Deshalb kann es bei Konstruktionswerkstoffen viele Jahre, ja sogar Jahrzehnte dauern, bis sie tatsächlich zum Einsatz kommen.“, erklärt Ritchie.
Die veröffentlichte Studie (Dong Liu et al, Exceptional fracture toughness of CrCoNi-based medium- and high-entropy alloys at 20 kelvin, Science (2022)) können Sie hier einsehen: https://www.science.org/doi/10.1126/science.abp8070